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Die Gefahren von Entindividualisierung

Unsere Bevölkerung wird immer älter. Alter wird in unserer Gesellschaft zunehmend als Makel gesehen. Ab 61 Jahren zählt man in Deutschland zu den Alten. Nur allzu gerne wird man bereits ab 50 Jahren der einen, DER Zielgruppe 50plus zugerechnet. Menschen ab 50 sehen sich häufig mit Vorurteilen, Ausgrenzung und Stereotypisierung konfrontiert. Die Mechanismen mit denen diese Altersgruppe entindividualisiert und abgewertet wird erinnern an Muster, die zum Bespiel im Rassismus zu beobachten sind.

Die Entindividualisierung der "Älteren"

Ein zentraler Aspekt von Rassismus ist die Entindividualisierung. Menschen werden aufgrund äußerlicher Merkmale oder ihrer Herkunft nicht mehr als Individuen wahrgenommen, sondern als Teil einer homogenen Gruppe mit vermeintlich negativen Eigenschaften. Ähnliches geschieht über das chronologische Alter bei DER Zielgruppe 50plus. Männer und Frauen werden als „alte Leute“ abgestempelt. Sie erscheinen als langsam, rückständig, unflexibel und nicht mehr leistungsfähig. Anders die Menschen „50minus“. Kundengruppe 50minus, noch nie davon gehört? Kein Wunder, so einen Unsinn macht ja niemand. Baby und Vater in einer Gruppe… Unsinn. Aber „Kinder“ im Alter von 50 Jahren können wir schon mit ihren achtzigjährigen Eltern in einer Zielgruppe zusammenfassen…oder? See content credentials In der Arbeitswelt erleben Menschen über 50, dass ihnen kaum noch Weiterbildungs-maßnahmen angeboten werden, weil sie als nicht mehr lernfähig gelten. Gleichzeitig wird ihnen unterstellt sie würden den Fortschritt blockieren. Wobei... Geschäftsführer und Vorstände landen regelmäßig - obwohl sie das erwerbsfähige Alter überschritten haben - in Aufsichts- und Beiräten oder sind erfolgreich als Berater unterwegs. Auch im Kontext Arbeit sind nicht alle Alten gleich. In der Studie „Ageismus - Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland“ lehnen 53% der Befragten die Aussage ab, dass alte Menschen zum Fortschritt unserer Gesellschaft entscheidend beitragen. Wer zu diesen 50plus-Menschen gehört hat automatisch „alte“ Interessen, ein „altmodisches“ Denken und wenig technisches Verständnis. Die Vielfalt innerhalb dieser Altersgruppe wird verkannt. Dies verdeutlicht, dass es hier weniger um individuelle Kompetenzen als vielmehr um eine pauschale Abwertung geht. Ähnlich wie rassistische Diskriminierung basiert auch Altersdiskriminierung auf irrationalen, gesellschaftlich verankerten Denkmustern.

Techno-Ageism

Die Alterung der Gesellschaft bringt viele Herausforderungen mit sich. Eine davon ist die Unterstützung bei der Nutzung digitaler Technologien. Obwohl es Grund zum Optimismus gibt, bleibt die Digitalisierung hinter ihrem Potenzial zurück. Vor allem weil ein Teil der älteren Menschen noch nicht so versiert im Umgang mit digitalen Geräten und Diensten ist. Als „digitale Immigranten“ haben sie, anders als die „digital natives“, erst im Erwachsenenalter begonnen digitale Technologien zu nutzen. Das macht es für sie schwieriger, aber nicht unmöglich, sich mit der sich schnell verändernden Technologie vertraut zu machen. Digitale Kompetenzen sind gewünscht nicht, nur von den Anbietern, sondern auch von den Nutzern, denn nur wer „drin“ ist bleibt auch Teil der Gesellschaft. Aber nicht alle Menschen über 50 müssen sich im digitalen Raum mühen. Viele sind, meist durch den Beruf, technologisch versiert und gestalten neue Entwicklungen aktiv mit. Dennoch hält sich hartnäckig das pauschale Bild vom technikfeindlichen, überforderten älteren Menschen. Dies hat konkrete Auswirkungen. Unternehmen richten ihre Innovationen fast ausschließlich auf jüngere Zielgruppen aus. Krankenkassen und die öffentliche Verwaltung setzen zunehmend auf digitale Prozesse, ohne diese Innovationen zu erklären. „Try and Error“ zu Lasten der digitalen Immigranten. Ihnen pauschal die Schuld zu geben ist falsch und wird nicht helfen. Genauso wenig wie die Vergrößerung der Tasten auf ihrem Handy. Beides verstärkt nur die digitale Altersdiskriminierung. Im englischen Sprachraum ist sie als „Techno-Ageism“ bekannt. Der beste Weg, um digitale Kompetenzen zu erwerben, ist das Lernen von und mit Gleichgesinnten. Angebote dieser Art werden zu wenig gefördert und angeboten.

Medien, Sprache und die Rolle der Gesellschaft

Auch in den Medien und in der Werbung sind pauschale Altersbilder an der Tagesordnung. Ältere Menschen werden entweder als gebrechlich und hilfsbedürftig oder als unrealistisch fit und übertrieben aktiv dargestellt. Die reale Vielschichtigkeit bleibt unberücksichtigt. Auch wenn Begriffe wie „Silver Ager“, „Best Ager“ oder „Rentner“ wohlwollender klingen als „Ausländer“ oder „Migranten“, setzen sie doch implizit die Zugehörigkeit zu einer anderen Bevölkerungsgruppe, den Alten, voraus. Altersdiskriminierung erfolgt subtiler, aber nicht weniger schädlich. Hier wird deutlich, dass Sprache und Bilder mächtige Instrumente der Wahrnehmung sind. Sie werden oft bewusst eingesetzt, um Gruppen auf bestimmte Rollen zu reduzieren. Diese Illustrationen, wie das grauhaarige Paar in beiger Jacke auf der Parkbank, prägen nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern dienen auch als Trainingsdaten für künstliche Intelligenz. So ist es nicht verwunderlich, dass auch KI altersdiskriminierende Tendenzen aufweist. Die WHO wies bereits 2022 auf das Risiko von Altersdiskriminierung durch künstliche Intelligenz in der Medizin und der öffentlichen Gesundheit hin.

Die Konsequenzen der Entindividualisierung

Die fortschreitende Entindividualisierung durch DIE Zielgruppendefinition 50plus hat gravierende Folgen. Gesellschaftlich führt sie zu einer Spaltung zwischen „Jung“ und „Alt“. So werden ältere Menschen als Belastung und nicht als Bereicherung wahrgenommen. Psychologisch bewirkt sie, dass sich viele Menschen bereits mit Ende 40 als „nicht mehr relevant“ empfinden. Dies kann zu Unsicherheiten, sinkendem Selbstwertgefühl und sogar Depressionen führen. Studien zeigen, dass soziale Isolation und mangelnde gesellschaftliche Wertschätzung erhebliche gesundheitliche Folgen haben. Volkswirtschaftlich bedeutet die Entindividualisierung älterer Menschen eine Vergeudung von Wissen, Erfahrung und Innovationskraft. Statt die Potenziale dieser Generation zu nutzen, werden sie systematisch von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Eine Entwicklung, die auch den jüngeren Generationen schadet.


Um diese Entwicklung zu stoppen, ist ein Umdenken erforderlich. Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und jede:r Einzelne von uns muss sich gegen Altersdiskriminierung stellen, so wie wir es auch auch bei anderen Formen der Diskriminierung tun.

 

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